Paul Auster: Auggi Wrens Weihnachtsgeschichte
21. Dezember 2022Happy 2024, neue Pläne und die Mikrobe des Jahres
1. Januar 2024Lösungsorientierte Climate Fiction vs. „Endzeitschimmel“
Ich freue mich besonders, über einen Gastbeitrag von Johanna Thiele, Studentin Master Europäische Medienwissenschaften an der Universität Potsdam und meine Tochter :). Der Artikel entstand im Rahmen der Blogtour für den Start unseres Öko-Thrillers „TOXIN“ ( Kathrin Lange & Susanne Thiele) am 28.7. 2023 bei Bastei-Lübbe.
„Climate Crisis sells“: langsam, aber stetig. Das Interesse an Medienproduktionen und Literatur, die sich mit den potenziellen Auswirkungen der Klimakrise beschäftigen, ist spätestens mit dem Auftauchen der Klimabewegungen Fridays For Future, Extinction Rebellion oder der Letzten Generation stark angestiegen.
Mit dem beobachtbaren Fortschreiten der Klimakrise fragen sich zunehmend auch Autor*innen und Drehbuchschreiber*innen, Regisseur*innen und Kunstschaffende, wie es denn nun in einer Welt aussehen könnte, in der die momentan noch in der Zukunft liegenden Folgen des Klimawandels schon längst eingetroffen sind. Die Antwort auf die Frage kommt dann oft in Form von „Climate Fiction“ (kurz „Cli-Fi“) daher. Kein eigenes Genre, aber eine Erzählströmung mit dem übergeordneten Thema „Umwelt (und Mensch)“, welche sich vor allem durch die Verbindung von Fiktion und wissenschaftlichen Fakten, als auch durch das Sensibilisieren und Aufklären des Lesers/ der Leserin in Bezug auf reale Folgen der Klimakrise auszeichnet.
Die Faszination vom Ende der Menschheit
Aus medien- bzw. literaturwissenschaftlicher Perspektive lassen sich einige Vorreiter der Climate Fiction schon im 19. und 20. Jahrhundert verorten, dazu zählen beispielsweise Jules Vernes mit „Der Schuss am Kilimandscharo“ (1889), Alfred Döblins „Berge, Meere und Giganten“ (1924) oder J.G. Ballards „Burning Worlds“ (1962). Alle entstanden jedoch noch bevor der Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ aufzeigte, die UN-Konferenz zur Bewahrung der Umwelt des Menschen aufrief oder die Massen an Klimadaten der letzten Jahrhunderte in Form von kleinen bunten Animationen über unsere Fernsehbildschirme flimmerten.
Erst mit T.C. Boyles „Ein Freund der Erde“ (2000), Frank Schätzings„Der Schwarm“ (2004; seit 2023 auch als ZDF-Serie), dem bildgewaltigen „The Day After Tomorrow“ (2004) oder auch Maja Lundes Klima-Quartett (seit 2015) wurde Climate Fiction so richtig massentauglich.
Die Illustrationen einer Welt, in der aus den Angeln geratene Ökosysteme oder weltweite Naturkatastrophen menschliches Leben auf der Erde bedrohen, sind oft dystopisch und zeichnen das Bild von einer Menschheit, die dem kaum noch etwas entgegenzusetzen hat. Nur einige wenige Werke stellen dem einen positiven Weg aus der Krise entgegen. Das erweckt nicht gerade Hoffnungen, wenn man auf die zu langsamen und zu wenig engagierten Gegenmaßnahmen realer Klimapolitik weltweit schaut.
Damit kommen wir auch schon zu den Fragen, die dieser Artikel aufgreifen will: Hilft uns Climate Fiction in der Klimakrise dann überhaupt weiter? Welchen Einfluss können Geschichten wie „Toxin“ auf die immer stärker auch emotional aufgeladenen Klimadebatte haben?
Man könnte die Funktionen von Climate Fiction wie folgend zusammenfassen:
Funktion 1: Komplexe Vorgänge verständlich machen
Die Klimakrise und ihre Folgen sind zunächst vor allem in Datensätzen und Dateninterpretationen niedergeschrieben, nicht gerade einladend für Leserinnen, die am liebsten auf der Terrasse im Grünen mit einem Kaltgetränk in der Hand etwas über die Klimakrise lernen möchten. Ein packender Thriller oder Roman, der sich „zufällig“ „eben auch“ mit der Klimakrise beschäftig kommt da schon besser an.
Um diese literarische Form zu erreichen, müssen die für die Handlung benötigten wissenschaftlichen Informationen also wohl oder übel heruntergebrachten und z.B. mithilfe einer zugänglichen Erzählung häppchenweise erklärt werden. Idealerweise geschieht das so unbemerkt, dass Leser/die Leserin dabei trotzdem wie gefesselt weiterliest und ehrliches Interesse für das wissenschaftliche Thema aufbaut. Durch die Einbettung von Fakten in eine spannende Handlung können komplexe Klimathemen so also leichter zugänglich und verständlich gemacht werden, ohne zu sehr an wissenschaftlicher Genauigkeit einzubüßen. Möglicherweise wird das abstrakte Konstrukt „Klimawandel“ so deutlich greifbarer für Leserinnen, wenn ganz konkrete Folgen für einen Bereich unserer Ökosysteme aufgezeigt werden.
Funktion 2: Emotionen hervorrufen und Identifikation ermöglichen
Susanne Thiele und Kathrin Lange schaffen es, in „Toxin“ erneut verschiedenste Interessengruppen abzubilden und ihre Perspektiven zu illustrieren. Die Leserinnen und Leser schauen quasi „durch die Augen“ eines Charakters auf das Problem, erkennen ihre Motive und Wertevorstellungen – auch die der Klimawandelleugnerinnen. Neben dem „wissenschaftlichen Blick“ durch Klimaforscher*innen oder einen Mediziner wie Gereon Kirchner sowie direkt Betroffenen in Alaska und Berlin kommen weitere Perspektiven zu Wort, die den gegenwärtigen Klimadiskurs immer wieder befeuern und die Politik zum Handeln drängen.
Als junge Frau Anfang zwanzig zählt die Rolle der „Lou“ ( wie auch Toms Tochter Sylvie) zu der Generation, die die eskalierende Klimakrise seit Beginn der 2000er Jahre live und in Farbe mitverfolgen konnte – als Digital Native sogar rund um die Uhr in Form von kontinuierlich hereinprasselnden Beiträgen auf Social Media oder im Fernsehen.
Die Faktenlage ist eindeutig und das Informationsmaterial dazu endlos und einfach abzurufen, unter jungen Menschen geht der Anteil der Klimawandeleugnerinnen wohl gegen Null. Nüchtern betrachtet hat sich aber bisher noch nicht genügend in Politik und Wirtschaft getan, gemessen an der Dringlichkeit der Lage: ein Grund dafür als junge Person skeptisch, wenn nicht sogar fatalistisch in die eigene Zukunft zu schauen. Studien zeigen immer wieder, dass die Angst vor Folgen des Klimawandels eine der am häufigsten genannten Ängste von jungen Menschen ist.
Im Aufeinandertreffen von Lou und Nina Falkenberg zeigen sich genau diese Ängste der jungen Frau und auch die Hoffnungslosigkeit, die junge Menschen lähmt und daran hindert, weiterhin aktiv für Veränderung einzustehen. Ein Gedankenaustausch, der Leser*innen, die selbst Eltern, Großeltern oder oft im Kontakt mit jungen Menschen sind, bekannt vorkommen dürfte. Für alle anderen ist es eine Einladung einmal in diese Gedankenwelt einzutauchen, die Ängste und Sorgen nachzuvollziehen und möglicherweise zu verstehen, warum junge Menschen gerade so massive Forderungen an Gesellschaft und Politik stellen. Warum wir dort angekommen sind, dass Menschen sich aus Verzweiflung auf die Straße kleben.
Funktion 3: Bewusstseinsbildung und Mobilisierung
Wir sind also „klimamäßig am Arsch“, wie Lou es sagen würde, wenn es mit der Erderwärmung so weiter geht. Das macht Climate Fiction meist ungeschönt deutlich und hat damit natürlich auch Recht. Das Herunterspielen der akuten Bedrohungslage und ein „Weiter so“ in Sachen Mobilität, Energie und Wirtschaft führt in wenigen Jahrzehnten zwangsläufig zu einem Klimakollaps, der das uns bekannte Leben auf der Erde unmöglich macht.
Beharrliches Warnen und das wiederholte Aufzeigen von Gefahren ist also weiterhin wichtig, gleichzeitig sind sich Expert*innen in der Klima- und Wissenschaftskommunikation einig: wir brauchen positive Geschichten. Es braucht Erzählungen, die aufzeigen, dass es sich lohnt hoffnungsvoll zu bleiben und für eine bessere Welt zu kämpfen. Der Glaube daran, dass der Mensch auch diese Krise durch Anpassung der eigenen Handlungen und seine bemerkenswerte Problemlösefähigkeit überwinden kann. Wenn sich das niemand auf dem Papier vorstellen kann, wie soll ein positiver Ausgang der Krise dann in unsere Köpfe kommen?
Hier können Klimathriller mit positiven Lösungsansätzen wie „Toxin“ also ansetzen, um den gemeinsamen gesellschaftlichen Einsatz für Klima- und am Ende auch Menschenschutz anzuregen. Sie haben das Potenzial, ein breites Publikum zu erreichen, das sich möglicherweise noch nicht intensiv mit dem Thema Klimawandel beschäftigt hat. Durch eine packende Story und mitreißende Charaktere, kann im Zusammenspiel mit der Darstellung eines spannenden, realen wissenschaftlichen Sachverhalts das Bewusstsein für die Dringlichkeit der Klimakrise geschärft werden – ganz ohne den demotivierenden Geruch von „Endzeitschimmel“.
Diese kleine Analyse wurde noch vor dem offiziellen Erscheinungsdatum von „Toxin“ verfasst, alle inhaltlichen Bezüge zum Buch sind also nur durch die mündliche Weitergabe von Informationen der Autorinnen & einigen Probekapiteln aufgestellt worden. Wenn ich selbst in den Genuss des ganzen Buches komme, gibt es möglicherweise weitere Kommentare, Ergänzungen oder ganze Neuinterpretationen :-).
Johanna Thiele, 22.7.2023
Literatur zum Weiterlesen:
1. Wie Climate Fiction vom aufgeheizten Planeten erzählt: Thekla Dannenberg (2022) unter: https://www.deutschlandfunk.de/auf-der-sturmhoehe-der-zeit-wie-climate-fiction-vom- aufgeheizten-planeten-erzaehlt-100.html
2. Was ist Climate Fiction? Kurzvortrag von Axel Goodbody (2020) unter: https:// agoodbody.online/files/Was ist Climate Fiction.pdf
3. Planetarische Gefühle: Julia Hubernagel (2022) unter: https://www.fluter.de/climate-fiction- genre-beispiele
Für Feedback:
Anmerkungen und Ergänzungen bitte Mail an johanna.thiele24@gmail.com.