Interview im „Pressesprecher“
16. Januar 2021Paul Auster: Auggi Wrens Weihnachtsgeschichte
21. Dezember 2022Zum 8. März haben wir immer Schneeglöckchen-Sträuße mit in die Schule genommen, um unseren Lehrerinnen zum Ehrentag zu gratulieren. Und unserer Mutti natürlich auch – mit Gedicht und selbstgebastelter Karte. Ich bin Jahrgang 1970 und in der DDR aufgewachsen. Die Frauen in meinem Leben waren selbstverständlich berufstätig, wie 92 Prozent aller Frauen im Osten (50% in der BRD). Meine Mutter war Kindergärtnerin, meine Oma bei einer Großhandelsorganisation in Magdeburg. Am Frauentag trugen sie bunte Plastikansteckblumen – Nelken, Rosen, Tulpen. Es war eine verordnete und politisch gewollte Gleichberechtigung. Der Staat brauchte die Frauen in der Produktion und dankte am Frauentag für den Beitrag „zur Stärkung der DDR“.
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mich mit der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau erst spät beschäftigt habe. Das war lange für mich nicht nötig. Warum sollten Mädchen und Jungen unterschiedliche Chancen haben? Erst als ich selbst Mutter wurde, nach der Wende in Niedersachsen lebte, bemerkte ich die Unterschiede, weil ich Karriere und Familie regelmäßig neu verhandeln musste. Mein Mann und ich haben zuhause glücklicherweise eine sehr faire Aufteilung. Er kocht definitiv viel besser als ich.
Der erste Weltfrauentag war am 8. März 1911. Entstanden ist der Tag vor dem ersten Weltkrieg im Kampf um Gleichberechtigung auf einen Impuls der Frauenrechtlerin und Sozialistin Clara Zetkin und der Gewerkschafterin und Sozialdemokratin Käte Duncker. Und 100 Jahr später bekommen wir das immer noch nicht hin!
Es gibt noch viel zu tun, damit alle Frauen ein freies selbstbestimmtes Leben führen können. Ungleiche Bezahlung ist ein Thema. In meiner Altersgruppe von 35-55 Jahren bekommen Frauen 22,2 Prozent weniger Gehalt bei gleichen Tätigkeiten. Gewalt gegen Frauen ist noch immer existent und Frauenhass entwickelt sich in neuen Formen, wie der Tatort aus der Zerrwelt der „Incel“-Szene gestern zeigte.
Auch die Sprache verrät uns. Das Mädchen, das Fräulein – erst nach der Heirat erhält ein Mensch weiblichen Geschlechts einen weiblichen Artikel. Wird vom Neutrum zur Frau. Rechtliche Regelungen wie die Frauenquote sollen helfen, die definitiven Nachteile für uns auszugleichen.
Aber positiv: Wir haben Angela Merkel aus der Ex-DDR an der Spitze als Regierungsoberhaupt. Noch.
Es ist traurig, dass wir einen Feiertag brauchen, um uns unserer Werte bewusst zu werden. Seit 2010 forderte Alice Schwarzer, den „gönnerhaften 8. März“ abzuschaffen. Mit ein paar Blumen ist es sowieso nicht getan.
Frauen und Männer sind nicht gleich: Müssen sie auch nicht. Gleichberechtigung bedeutet, dass alle, die das Gleiche wollen, gleiche Chancen bekommen, wenn sie entsprechende Voraussetzungen mitbringen. Das gibt es aber leider in keinem Land der Welt.
Bezogen auf unsere Buchbranche: Autorinnen kämpfen um ihre Gleichberechtigung in der Buchbranche und schließen sich in Netzwerken zusammen. Buchpreise gehen vorwiegend an Autoren, vergeben von einer vorwiegend männlichen Jury. Ein krasses Missverhältnis.
In der Gesellschaft und in der Literatur sind Frauen unterrepräsentiert. Das ist auch der Grund, warum in unserem neuen Thriller „Probe 12“ eine der Hauptprotagonisten eine toughe Wissenschaftlerin Nina Falkenberg ist. Wir brauchen mehr Identifikationsfiguren – neue Role Models.
Den Frauentag werden wir noch eine Weile erleben. Vielleicht haben wir ihn nicht mehr nötig, wenn unsere zukünftige Enkel und Enkelinnen auf der Welt sind.